Stefan, warum schreibst Du unter Pseudonym? Hast du etwas zu verbergen?
Nun, ich habe während meiner Jahre als Pastor nicht nur gute Erfahrungen gemacht mit manchen „Geschwistern“ aus der freikirchlichen Szene. Ehe man sich’s versieht, steht man plötzlich unter irgendeiner absurden Anklage oder einem obskuren Verdacht und läuft Gefahr, seine Anstellung zu verlieren. Das ist mir schon selber passiert und auch einer ganzen Reihe meiner Kollegen. Die meisten davon haben dann keine neue Stelle mehr gefunden.
Das klingt jetzt irgendwie nach „Mobbing“. Das sollte es aber unter Christen keinesfalls geben, oder?
Stimmt. Leider gibt es das aber trotzdem. Natürlich ist das ein absolutes Tabu-Thema. Pastoren haben ein Berufsrisiko: Sie müssen vorsichtig sein, was sie äußern!
Sind freikirchliche Gemeinden denn so intolerant?
Meistens sind es nicht die Gemeinden, sondern nur einzelne „Geschwister“. Sind diese aber in leitenden Funktionen oder begnadete Stimmungsmacher, dann wird’s gefährlich. Und mehrfach habe ich auch beobachtet, dass Pastoren nicht etwa von ihren Gemeinden „entfernt“ wurden, sondern sozusagen „von oben“, also von ihrer Freikirchenleitung oder von Vorgesetzten.
Ohne dass sie etwas verbrochen hätten? Oder sind sie vielleicht theologisch „von der Linie“ abgewichen?
Nein. Unter all meinen Kollegen, deren Rauswurf ich miterlebt habe, ist kein Einziger, dem man tatsächlich etwas Illegales, Unmoralisches oder ethisch Verwerfliches nachgewiesen hätte oder dessen Theologie ernsthafte Fragen aufwarf. Bei all diesen Pastoren wäre ich gerne und ohne Bauchschmerzen Gemeindeglied gewesen.
Aber fast alle Freikirchen suchen doch händeringend nach Pastoren! Und gleichzeitig werden da welche hinausbefördert, obwohl sie nichts Schlimmes angestellt haben?
Genau! Das ist absolut widersinnig. Aber darüber spricht man nicht.
Du sagst, du hättest einen solchen „Rausschmiss“ selbst schon erlebt. Was macht das mit einem?
Ich habe längere Zeit Psychopharmaka (Antidepressiva) nehmen müssen. Das machen übrigens erstaunlich viele Pastoren; mancher meiner Kollegen, bei denen ich mich diesbezüglich „geoutet“ habe, haben mir dies dann hinter vorgehaltener Hand bestätigt. Ist natürlich auch ein Tabu.
Sind unsere Gemeinden so unausstehlich?
Nein, Gottseidank nicht. Aber es gibt immer wieder einzelne "Geschwister", die - oftmals völlig unverhofft und ohne dass man ein Motiv oder eine Ursache erkennen könnte – plötzlich alle Register ziehen, um einen Pastor oder zumindest seinen Ruf zu schädigen. Und dies unglaublich erfolgreich, denn in evangelikalen Kreisen gibt es so gut wie keine Handhabung, keine Instrumente dagegen. Da wird fast immer nur auf „gegenseitige Vergebung!“ plädiert, aber kaum was unternommen.
Das ist aber ein harter Vorwurf! Gibt’s nicht auch Mediatoren, die dann vermitteln können?
Doch. Die haben aber meist keine Handlungsbefugnis, sondern nur beratende Funktion und werden deshalb in der Regel von den Mobbern ziemlich schamlos ausgenutzt. Das führt nur ganz selten wirklich zum Erfolg. Leider.
Nun, so langsam ahne ich, warum Du unter Pseudonym schreibst! Hättest Du dieses Interview hier auch unter deinem richtigen Namen veröffentlicht?
Nein. Wie gesagt: Man hat als Pastor ein Berufsrisiko. Manches, auch manche Wahrheiten, sollte man nicht ansprechen, sonst ist der Ruf ganz schnell ruiniert und die geistliche Karriere beendet. In diesem Interview steckt davon schon eine ganze Reihe.
Und in deinen Büchern dann auch?
Ja. Ich kann nur in dieser Offenheit schreiben, wenn ich mich gleichzeitig schütze. Die theologischen Wahrheiten, die ich meine, gefunden zu haben und die ich in Buchform weitergeben möchte, sind eben nicht durchwegs „stromlinienförmig“. Meine Bücher sind nicht bequem, aber – so hoffe ich – dadurch auch nicht langweilig!
Du sagst „theologische Wahrheiten“ – aber die sollte man doch ungeschminkt weitergeben dürfen als Pastor! Das erwartet man doch von einen „Gemeindehirten“, oder?
Ja, insbesondere biblische Wahrheiten. Und um die geht’s immer in meinen Büchern. Ich will nur das weitergeben, was ich tatsächlich in der Bibel vorfinde und erkenne. Aber das ist dann eben manchmal nicht „was wir schon immer gewusst haben“. Und wenn Du eine andere Erkenntnis aus der Bibel verbreitest als hierzulande üblich, dann wird’s schnell ungemütlich …
Aber alle Evangelikalen schöpfen doch ihre Erkenntnisse aus der Bibel, oder?
Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Wir sollten eigentlich alle Erkenntnis der Bibel entnehmen, denn ohne Bibel wüssten wir nichts von Jesus, von Gott, von Erlösung oder dergleichen, es gäbe ohne sie auch keine Nachfolge und keine „Kirche“. Es gäbe überhaupt keinen „christlichen“ Glauben ohne die Bibel! Also muss sie unsere Erkenntnis-Grundlage sein. Aber leider fußt ganz viel Erkenntnis nicht aus unserem Bibelstudium, sondern in Überlieferungen, wie „Christsein“ oder „Gemeinde“ zu funktionieren hat. Wir lernen „Nachfolge“ weniger aus der Bibel als vielmehr daran, wie denn all die anderen in unserer Gemeinde ihr Christsein leben. Da passen wir uns einfach an und lesen anschließend die Bibel nur noch als eventuelles „Korrektiv“ unseres längst eingespielten frommen Verhaltens.
Schon wieder ein sehr kritischer und ziemlich unangepasster Gedankengang von dir!
Richtig. Aber darauf musst Du gefasst sein, wenn Du meine Bücher liest. Da ich unter Künstlernamen veröffentlichen kann, leiste ich mir den Luxus, die Bibel nach Möglichkeit unvoreingenommen zu lesen und zu versuchen, es „eins zu eins“ so zu verstehen, wie ich es dort vorfinde. Egal, ob das im frommen Lager schon immer so gesehen wurde oder nicht.
Das ist ein hoher Anspruch! Glaubst Du wirklich, neue Erkenntnisse gefunden zu haben in der Bibel, die wir noch nicht kennen? Das würde echt überraschen…
Also, dann lass dich überraschen! Lies einfach meine Bücher!